Die braune Saat. Neonazismus und Rassismus in der DDR – Ursachen und Folgen
Lesung mit Harry Waibel
Bis zum Untergang der DDR wurden Antisemitismus, Neonazismus und Rassismus offiziell als ein Staatsgeheimnis behandelt, und das kommt hinzu, über das Ende der DDR hinaus bis in die Gegenwart verleugnet und verdrängt. Erst seit dem sich seit einem Jahr in Dresden und mittlerweile auch in einigen anderen Städten im Osten, eine rechte Massenbewegung gegen Muslime auf Straßen und Plätzen öffentlich zeigt, wird danach gefragt, woher diese Bewegung kommt.
Dienstag, 16. Mai 2017
19 Uhr
Anna&Arthur, Katzenstr. 2, 21335
Seit über 20 Jahren forscht Harry Waibel als Historiker zum Verlauf, zu den Ursachen und den Folgen des Antisemitismus und Neonazismus in der DDR und die Ergebnisse stammen zum größten Teil aus über 2.000 unveröffentlichten und streng geheim gehaltenen Materialien, die in den Archiven des MfS und im Bundesarchiv-SAPMO (SED und FDJ) aufbewahrt werden. Danach sind insgesamt über 8.600 neonazistische, rassistische und antisemitische Propaganda- und Gewalttaten belegt. Etwa 7.000 neonazistische Angriffe bilden numerisch das Hauptgewicht in diesem Spektrum des Grauens, während der Anteil der rassistischen Angriffe bei etwa 725 Vorfällen liegt. Hierbei sind die Angriffe auf afrikanische, muslimische und kubanische Arbeiter von Bedeutung, sie stellen das Gros der Opfer dar. Der Anteil antisemitischer Angriffe liegt bei etwa 900 und davon sind etwa 145 Schändungen jüdischer Friedhöfe und Gräber zu konstatieren. Mindestens 10 Personen sind bei diesen politisch motivierten Ereignissen getötet worden und die Zahl der Verletzten geht in die Tausende. Diese Straftaten haben in etwa 400 Städten und Gemeinden stattgefunden und sie sind insgesamt ein Ausdruck für eine rechte Bewegung in der DDR.
Ab den 1960er Jahren haben in über 110 Städten und Gemeinden etwa 200 Pogrome bzw. pogromartige Angriffe von Neonazis stattgefunden. Ab den 1970er Jahren gab es über 30 rassistische Angriffe auf Wohnheime von ausländischen Arbeitern, wobei der Anfang ein Wohnheim in Erfurt 1975 war und diese Reihe endete in der DDR im August 1990 als in Trebbin (Bezirk Potsdam) ein Wohnheim für Mosambikaner von etwa 30 Neonazis angegriffen wurde. Insgesamt sind etwa 100 lose bzw. geschlossene neonazistische Gruppen für die DDR belegt.
Seit der Vereinigung der beiden deutschen Staaten haben nach Angaben des Bundesamtes für Verfassungsschutz (BfV) mehrere hunderttausend rechte Propaganda- und Gewaltstraftaten stattgefunden und nach den Recherchen Waibels gab es in diesem Zeitraum über 250 Tote und tausende Verletzte und der Anteil der Täter stammt überproportional (3:1), d. h. gemessen an der Zahl der Einwohner, aus den neuen Ländern im Osten. Diese Struktur lässt sich ebenfalls in Berlin feststellen, wenn man die Berliner Bezirke im Osten und im Westen vergleicht. Fälschlicherweise wurde behauptet, diese Entwicklung wäre ausschließlich den ökonomischen, sozialen und politischen Verwerfungen seit dem Vereinigungsprozess geschuldet. Doch jetzt ist klar, in beiden deutschen Staaten, der Bundesrepublik und auch in der DDR, hat es Neonazismus, Rassismus und Antisemitismus gegeben und sie bilden die historischen Voraussetzungen, ohne die es nicht zu den brandgefährlichen gesellschaftspolitischen Verhältnissen der Gegenwart hätte kommen können.
Eintritt frei
Eine Veranstaltung in Kooperation mit dem Literaturbüro Lüneburg.